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Brasilien – Die „Ochsenaugen“ („Olhos de boi“)

Brasiliens erste Briefmarken: Die „Ochsenaugen“ vom 1. August 1843
Brasilien, 1. Ausgabe vom 1. August 1843 (so genannte „Ochsenaugen“)

      Es gibt nicht viele Briefmarkenausgaben aus Übersee, die bei europäischen Philatelisten einen geradezu legendären Ruf geniessen. Natürlich fällt uns dazu die „→ Blaue Mauritius“ ein, die 1 Cent → British Guyana, die „Missionare“ von Hawaii (eine Ausgabe, wegen der – angeblich – sogar ein → Mord begangen wurde) – und die brasilianischen „Ochsenaugen“.

      Was fasziniert Sammler seit mehr als 160 Jahren an dieser Ausgabe? Es ist wohl die eigenwillige grafische Gestaltung dieser grossformatigen, im aufwändigen Stichtiefdruck hergestellten Marken: Die Wertziffer nicht als dominierendes, sondern als einziges Motiv in einem mit feiner Hintergrundzeichnung ausgefüllten Oval, dem diese Marken den Namen „Ochsenaugen“ verdanken.

      Europäische Standard-Kataloge sind mit dieser Ausgabe, im Gegensatz zum brasilianischen RHM- oder Meyer-Katalog, meist schnell fertig: Es gibt drei Wertstufen – 30, 60 und 90 Réis –, und manchmal findet man noch einen Hinweis auf verschiedene Papiersorten.
      Tatsächlich ist in die „Ochsenaugen“ über Jahrzehnte sehr viel philatelistische Forschungsarbeit investiert worden; Sammler und Liebhaber dieser Ausgaben kommen um die Anschaffung spezialisierter Literatur nicht herum.
      Warum die Unterscheidung zwischen „Sammlern“ und „Liebhabern“? Frühe philatelistische Forschungen basierten auf Sammlungen von bis zu 2400 Exemplaren; aus solchen Stückzahlen liessen sich natürlich repräsentative Erkenntnisse für die gesamte Ausgabe gewinnen.
      Bei den heutigen Preisen – der Michel notiert (Online-Katalog, abgerufen Dezember 2015) € 9000,– für den ungebrauchten und € 2800,– für den gebrauchten Satz von drei Werten – lassen sich solche Sammlungen aber wohl nicht mehr zusammenstellen; ein Sammler kann sich glücklich schätzen, wenn er Belegstücke für die vier Papiersorten und die vier Plattenzustände in seiner Sammlung hat. Wenn also auch kaum jemand „Ochsenaugen“ spezialisiert sammelt, hat diese Ausgabe viele Freunde und Liebhaber, und auch zur exakten Einordnung nur eines einzigen Exemplars in der eigenen Sammlung benötigt man entsprechende Literatur.

      Die „Ochsenaugen“ wurden von verschiedenen Platten gedruckt. Es gab Bogen zu 54 Marken mit allen drei Wertstufen; diese so genannten „kombinierten Platten“ enthielten je 18 Marken zu 30, 60 und 90 Réis in 3 Reihen à 6 Marken. Es gab zwei Versionen dieser Platten:

Brasilien „Ochsenaugen“ 1. kombinierte Platte Brasilien „Ochsenaugen“ 2. kombinierte Platte
1. und 2. Version der „kombinierten Platten“ der „Ochsenaugen“

      Paare oder Streifen mit Zwischensteg (im Portugiesischen „xifópago“ (1)) sind extrem selten, da die Druckbogen am Schalter in die drei 18er-Bogen der verschiedenen Wertstufen getrennt werden mussten. Legendär ist eine philatelistische Weltrarität, ein Einzelstück, dessen Wert bei ca. 2 Millionen Dollar liegt (2): Der nach einem seiner Vorbesitzer, → Charles Lathrop Pack, benannte „Pack strip“:

Brasilien „Ochsenaugen“: „Pack Strip“ Brasilien „Ochsenaugen“: Plattenposition des „Pack Strip“ Der Pack strip besteht aus den Werten zu 30 Réis von Bogenposition 11 und 17 und dem 60-Réis-Wert von Bogenposition 5.

      Weiterhin gab es eine Platte mit 54 Marken nur des 30-Réis-Wertes in der oben gezeigten Anordnung (3 x 6 x 3) und die so genannten „grossen Platten“ mit 6 x 10 Marken für die Wertstufen 30 und 60 Réis (letztere in 2 Versionen). Alle 90-Réis-Marken stammen von den „kombinierten Platten“. Bei allen Platten werden verschiedene Zustände (Original und Zustand nach Retouchieren/Nachschneiden) unterschieden.
      Dass ich das heute so selbstverständlich schreiben kann, verdanken wir den Pionierarbeiten von Spezialisten wie Kloke, Napier und anderen. Vieles, was mit den „Ochsenaugen“ zu tun hat, von der Frage, wo sie gedruckt wurden, bis zur Festlegung des Erstverwendungstages, lag lange im Dunkeln und wurde erst durch intensive Recherche, umfangreiche Korrespondenz mit den beteiligten Stellen und detaillierte Analyse vorliegender Marken in den zwanziger und dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts, also fast hundert Jahre nach der Ausgabe, definitiv festgestellt.

Brasilien „Ochsenaugen“: 60 Réis, 1. Platte, Zustand B, obere Hälfte
Brasilien „Ochsenaugen“: 60 Réis, 1. Platte, Zustand B, untere Hälfte
Das Ergebnis langjähriger philatelistischer Forschung:
Rekonstruktion der 1. „grossen Platte“ der 60 Réis, Zustand B
(Fototafeln 26 und 27 aus dem Buch von Napier)

      Komplette Belege, also Briefe, mit „Ochsenaugen“-Frankatur dürften für die meisten Sammler ausserhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten liegen; solche Stücke sind sehr selten und entsprechend sehr teuer. Es lohnt sich aber, auch, wenn Sie nur wenige einzelne Marken besitzen, sich mit den Stempeln auf dieser Ausgabe näher zu beschäftigen. Der auf der oben gezeigten 90-Réis-Marke gut erkennbare Stempel „CORREIO GERAL DA CORTE“ z. B. ist einer der häufigsten Stempel auf den „Ochsenaugen“, er stammt vom Hofpostamt in Rio de Janeiro. Auch hier gilt: Spezielle Literatur zum Thema ist unverzichtbar!

      Insgesamt wurden rund 3 Millionen Exemplare der „Ochsenaugen“ gedruckt; mit ca. 1,5 Millionen Exemplaren war der 60-Réis-Wert die häufigste, mit 350 000 Stück der 90-Réis-Wert die seltenste Marke. Der Restbestand am Ende der Ausgabezeit betrug insgesamt 470 000 Marken; diese wurden im Juni 1846 unter Aufsicht in der brasilianischen Münze verbrannt.
      Ungebrauchte Stücke sind daher deutlich seltener als gestempelte Exemplare; bei Kloke finden wir die Information, dass in der Sammlung Emerson (um 1920/1930) unter 2339 „Ochsenaugen“ nur 159 (7 %) ungebrauchte Exemplare waren. Sollte dieser Wert repräsentativ für das heutige Gesamtvorkommen dieser Marken sein, wären die ungebrauchten „Ochsenaugen“ sogar noch erheblich unterbewertet!


Fussnoten:

  1. „Xiphopagus“ ist im Deutschen ein medizinischer Begriff, der oberhalb des Nabels zusammen gewachsene siamesische Zwillinge bezeichnet.
  2. Der Pack strip wurde zuletzt im Sommer 2008 bei Siegel in New York für US$ 2 185 000,– (einschl. Aufgeld) verkauft (→ Losbeschreibung bei Siegel); die Geschichte dieses Stücks finden Sie bei → David Feldman (englischer Text).

Literatur:


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Erste Veröffentlichung am 12. Juni 2005, letzte Bearbeitung am 11. Dezember 2015.


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