Alle Inhalte dieser Site sind urheberrechtlich geschützt; Copyright © C. Ozdoba |
Zur ersten Kirchenstaat-Ausgabe schreibt Schloss in der Rubrik Réimpressions ganz schlicht: „Non.“
In der Tat gibt es von den Bajocchi-Ausgaben keine Neudrucke, von den Centesimi-Ausgaben dagegen existiert eine Unzahl von Neudrucken, bei deren Herstellung u. a. auch der einschlägig bekannte Herr Moens eine gewisse Rolle spielte. Auslöser des Neudruck-Schubs war er allerdings, anders als bei den Bergedorf-Neudrucken, diesmal nicht; beim Kirchenstaat finden wir einen gewissen Herrn Usigli aus Florenz in dieser Rolle.
Damit kommen wir zu der Frage, wo der interessierte Philatelist sich über diese Neudrucke und die bei der ersten Ausgabe nicht seltenen Fälschungen kundig machen kann.
Ich darf an dieser Stelle an Kurt Karl Doberer, den berühmten Altmeister der klassischen Philatelie, und seine griffige Definition des „Philatelisten“ erinnern: Als „über den Katalog hinauswachsenden Sammler“ hat er ihn bezeichnet, und der Sammler in Deutschland, der den Michel benutzt, macht den ersten Schritt darüber hinaus, wenn er sich die Monographie von Jenkins beschafft. „Es gibt vier private Neudrucke der Ausgaben 1867/68 (I. Usigli, II. Moens, III. Gelli und Tani, IV David Cohn)“ schreibt Michel, Jenkins dagegen führt, im Detail in ihrer Entstehung beschrieben, acht Neudrucke auf: Usigli, Moens, Gelli & Tani I und II, Cohn I und II, Norditalien A und B. Sieben davon sind aber, streng genommen, Fälschungen.
Zunächst gibt es natürlich die teilweise auch schon auf anderen Seiten dieser Site erwähnten Monographien zum Thema „Neudrucke“ von Schloss, Ohrt und Serrane. Obwohl sie teilweise nicht mehr dem aktuellen Stand der philatelistischen Forschung entsprechen, sind diese Bände Standardwerke und sicher im Bücherregal jedes Philatelisten zu finden, der ein spezielles Interesse an Neudrucken hat.
Die erste mir bekannte spezialisierte Abhandlung über Neudrucke des Gebietes Kirchenstaat ist das 1933 erschienene Bändchen (16 Seiten) von Stiedl und Billig, der erste Band des später unter dem Gesamttitel „Grosses Handbuch der Fälschungen“ bekannt gewordenen Werkes. Rund dreissig Jahre später hat auch Bürgisser in seiner Kirchenstaat-Monographie das Gebiet der Neudrucke angesprochen.
Wiederum dreissig Jahre später kamen mit den drei Bänden (plus Supplement) von Levitsky und Jenkins die besten und umfassendsten Werke heraus, die es zu diesem Thema gibt – man kann diese drei Bände ohne Übertreibung als Pflichtlektüre für Kirchenstaat-Sammler bezeichnen. (Sie sind bei europäischen Buchhändlern meist nicht verfügbar, bei → Philatelic Bibliopole aber eigentlich immer ab Lager lieferbar.)
Kommen wir zurück zur Geschichte der Neudrucke: Jenkins schreibt, dass Usigli die Urstempel der Centesimi-Ausgaben von der italienischen Post gekauft habe, laut Doberer hat er sie „illegal“ in seinen Besitz gebracht. Wer hat Recht? Ich weiss es leider auch nicht! Wie auch immer: Usigli hatte sie nun, und er machte von dem zur Verfügung stehenden Material reichlich Gebrauch, denn er erzeugte nicht nur Neudrucke der Marken, sondern auch eine Unzahl von „Probedrucken“ und „Essais“, die heute noch vielfach als echt angeboten werden. Seine Neudrucke stammen jedenfalls von den Original-Klischees und sind somit als private Neudrucke einzuordnen.
Usigli verkaufte diese Original-Klischees später an einen Herrn Bonasi in Rom. (Doberer bezweifelt auch dies; er schreibt, dass es für diesen Verkauf keinen Beweis gebe und dass Bonasi wahrscheinlich nur als Agent aufgetreten sei.) Bonasi stellte selbst keine Neudrucke davon her, aber er wollte diese Klischees auch nicht mehr hergeben. Wer wollte, konnte aber bei ihm Elektrotypen davon bekommen, und da gab es einige Interessenten (s. u.) …
Der erste, der einen kompletten Satz (120 Stück für zwei Druckplatten mit je 60 Marken) der Elektrotypen von Bonasi orderte, war Moens in Brüssel im Jahr 1888.
Er stellte sowohl geschnittene wie gezähnte Neudrucke her (um einmal bei dem eingeführten Begriff zu bleiben; wie oben gesagt, sind Drucke von Stempeln der „2. Generation“ keine Neudrucke mehr, sondern Fälschungen); letztere wurden allerdings mit „falschen“ Zähnungen, nämlich 11½ und 12 statt 13¼, versehen.
Moens war der einzige, der 120 Stempel bei Bonasi bestellte; beim Plattieren dieser Ausgabe muss man also die jeweils vorliegende Marke im Detail mit den 120 dokumentierten Varianten vergleichen. Alle späteren Neudruck-Produzenten begnügten sich mit der (im Vergleich zu Moens) linken Platte.
Ein Jahr später, 1889, fand Bonasi einen zweiten Abnehmer: Gelli und Tani, ebenfalls in Brüssel, bestellten 60 Stempel; sie bekamen diejenigen, die – wie erwähnt – der linken Platte von Moens entsprachen.
Der erste Druck von G & T ist sehr selten, beim späteren zweiten Druck wurden einige defekte Klischees ausgetauscht, so dass sich an ganzen Bogen oder grösseren Einheiten die Unterschiede dokumentieren lassen.
Der erste Druck von Gelli und Tani diente Fournier als Vorlage für seine facsimiles, die zweite G & T-Platte wurde für eine neue Serie von Neudrucken unklarer Herkunft verwendet, die als „norditalienische Neudrucke“ (1) in der Literatur geführt werden. Diese existieren in zwei Drucken, die nicht, wie bei Gelli & Tani und Cohn, mit römischen Zahlen (I und II) bezeichnet werden, sondern als Drucke A und B in der Literatur bekannt sind.
Das Neudruck-Geschäft ging munter weiter: Der letzte im Bunde war David Cohn in Berlin, der, ebenfalls von der „linken Platte“, zwei verschiedene Auflagen druckte, die sich an Details der Randlinien unterscheiden lassen.
Übersicht über die verschiedenen Kirchenstaat-Neudrucke |
Im Gegensatz zu den Fälschungen zeigen die Neudrucke, trotz des Umkopierens von den Originalstempeln auf Elektrotyp-Kopien, logischerweise keine grundsätzlichen Unterschiede zu den Originalen im Markenbild. Auffallend ist jedoch eine zunehmende Abnutzung, die sich in Details des Bildes und vor allem auch der Umrandung zeigt; dies erlaubt meist eine eindeutige Zuordnung einer Marke zu einer bestimmten Neudruck-Auflage.
Weitere, hier nicht diskutierte Unterschiede betreffen Papier, Farbe und Gummierung; Sie finden diese Angaben im Buch von Jenkins.
1933 gab es diese, nicht vollständige, Übersicht im Buch von Stiedl/Billig |
Ein Beispiel aus dem Leben: Irgendwann spricht sich herum, dass man sich für italienische Staaten interessiert, und irgendwann bekommt man dann ein paar Marken mit der Bitte, diese doch genau zu bestimmen: Original, Neudruck oder Fälschung?
Klar ist, dass das ohne spezielle Literatur nicht geht, und es ist auch begreiflich, dass sich jemand, der nicht speziell Antichi Stati sammelt, dafür nicht extra die Referenzwerke beschafft. Also, fangen wir an:
Das sehr helle Orange sticht beim Blick auf die Farbtafel (das Buch von Jenkins braucht man natürlich) sofort heraus; dass wir ein linkes Randstück vor uns haben, macht die Suche noch einfacher, und der Unterbruch in der rechten unteren Ecke führt uns schliesslich zur gesuchten Auflage und Bogenposition: Cohn, 2. Druck, Position 13 (1. Marke der 3. Reihe).
Diese Abbildungen stammen aus dem Buch von Jenkins, das für das Plattieren von Kirchenstaat-Neudrucken unverzichtbar ist. Ich zeige Ihnen hier nur Ausschnitte, exemplarisch genügt das, und ich respektiere das Copyright. Das Buch enthält natürlich Abbildungen der kompletten Bogen aller Neudruck-Varianten, die Sie, wie die Marke selbst, am besten mit einer Lupe absuchen. Die gelben Pfeile weisen auf einige Charakteristika von Bogenposition 13 hin. |
|
Die Charakteristika der Originale sind da, die Farbe spricht aber eher für einen Neudruck. Dieses Stück macht die Suche in der Literatur leicht: Ein auffallender Bruch der Randlinie auf Höhe des „O“ von FRANCO findet sich auf der linken Platte von Moens an Position 47:
Die Abbildungen aus dem Buch von Jenkins zeigen, dass wir die Marke richtig eingeordnet haben: Moens, linke Platte, Bogenfeld 47 (vgl. Zeichnung links und Kennzeichen der Marke unten) | |
Literatur:
Copyright © 2005 – 2020 und verantwortlich für den Inhalt:
Erste Veröffentlichung am 27. Dezember 2005, letzte Bearbeitung am 7. Oktober 2020.
Adresse dieser Seite: https://www.klassische-philatelie.ch/ita/ita_statpont_nd.html