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Die deutsche Privatpost bis zur Einführung des definitiven Reichs-Postmonopols am 1. 4. 1900 ist ein hoch interessantes Kapitel der klassischen Philatelie; immerhin gab es ca. 250 private Anbieter von Post-Dienstleistungen im Deutschen Reich.
Leider wird dieses Feld heute von vielen Philatelisten ignoriert; der Michel Privatpost-Katalog erscheint nur alle 6–8 Jahre neu – können Sie sich das bei einem „normalen“ Länderkatalog vorstellen? Es gäbe einen Aufruhr unter den Philatelisten! Bei der NAPOSTA 2005, der nur alle 4 Jahre stattfindenden grössten deutschen philatelistischen Veranstaltung, wurde meine Frage nach Privatpost-Marken und -Belegen an vielen Händlerständen nur mit einem lapidaren „Führen wir nicht“ beantwortet.
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Früher war das sehr anders: Frühere Vordruckalben (etwa das Lallier-Album von 1862) erfassten ganz selbstverständlich die Privatpostmarken, das „Sprechende Album“ von Behrens (1) wird heute immer wieder einmal, mehr oder weniger gut gefüllt, angeboten. Vor rund 120 Jahren gab es als Weihnachtsprämie des Illustrirten Briefmarken-Journals Privatpostmarken – sie waren selbstverständlicher Teil der Deutschland-Philatelie (Abb. links). |
Lobend erwähnen muss man die Aktivitäten des Privatpost-Sammler-Vereins „Merkur“, Privatpost-Sammlern seit Glasewalds Zeiten bekannt, dessen → Website ich allen an diesem Thema interessierten Lesern empfehle. Durch das (bürokratisch langsame) Abbröckeln des Postmonopols in Deutschland sind Marken privater Postanstalten übrigens nicht mehr nur ein klassisches Thema, sie sind auch wieder ein Gebiet der aktuellen Philatelie geworden; vielleicht entdecken Sammler damit auch die alten Ausgaben wieder neu?
Eine Begriffsklärung ist vielleicht zum Anfang noch erforderlich: „Privatpost“ ist nicht gleich „Stadtpost“. Näheres dazu finden Sie auf der Seite „Gedanken zur Terminologie“.
Philatelistisch beeinflusste Ausgaben (um es einmal nett zu formulieren …) gab es vor allem in der Frühzeit der deutschen Privatpostanstalten, etwa Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Typische Beispiele sind die gleichzeitige Ausgabe geschnittener und gezähnter Marken (Bergedorf, Erfurt, Lübeck) oder die schnelle Folge komplett neuer Ausgaben einschliesslich hoher Wertstufen (Frankfurt).
Eine gewisse Konsolidierung trat etwa 10 Jahre später ein; viele seriös arbeitende Postanstalten lieferten, mit meist minimal drei und bis zu sechs (!) Zustellungen pro Tag, einen guten und von der Bevölkerung geschätzten Service im Ortsverkehr. Der übliche Tarif für einen Ortsbrief lag bei den Privaten bei 2 Pfennig, die Reichspost verlangte 5 Pfennig!
Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass die „Boten“ (Briefträger) der Privatpostanstalten im Vergleich zu ihren Kollegen bei der Reichspost miserable Arbeitsbedingungen hatten: Die 7-Tage-Woche bei zweiwöchiger Kündigungsfrist zu einem Lohn, der deutlich unter dem der Reichspost-Briefträger lag, dazu ohne weitergehende soziale Absicherung (2), war eher die Regel als die Ausnahme.
In einem Bereich betraten viele private Anbieter Neuland, lange, bevor die Reichspost diese Idee aufgriff: Sie brachten Motiv- und Gedenkmarken heraus. Es mussten ja nicht immer nur Wappen und Zahlen sein, und so gab es z. B. Tierbilder in Bergedorf oder die Darstellung von Transportmitteln in Lübeck.
Auch „Sondermarken“ zu bestimmten Anlässen gab es; eine kleine Auswahl sehen Sie hier:
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Oben (links und rechts): Kein „Sachsendreier“, sondern ein „Dresdendreier“: Links oben: Zum „Radfahrerfest“ (IV. Bundesfest des Deutschen Radfahrerbundes) erschien 1887 diese Marke der Frankfurter „Drucksachen- & Circular-Beförderung“. (MiNr. 28) Links unten: In Wiesbaden gab die „Transport-Anstalt und Privat-Post“ im September 1887 eine 14 Tage gültige Marke zur 60. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte heraus. |
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Die Ganzsachen der deutschen Privatpostanstalten sind eine interessante Ergänzung jeder Sammlung; es gab mehr Postkarten – auch hier findet man teilweise Gedenkausgaben – als Briefmarken. Ausserdem verraten die Karten mehr über die Eigenheiten des Privatpostbetriebes als (lose) Marken:
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Oben: Hannover, Stadtbrief-Expedition Mercur, 1. Januar 1892, MzE Nr. 6 Unten: Bochum, Privat-Brief-Verkehr, Januar 1897, MzE Nr. 1 |
Beachten Sie auf der oberen Karte den Hinweis, dass sie nur in den Briefkasten des Privatpostbetreibers eingeworfen werden durfte („Nur in die roth-weißen Mercur-Briefkasten zu legen“); solche Vermerke findet man häufiger auf Privatpostkarten. Auch die komplette Übersicht über Tarife, Kastenleerungs- und Zustellzeiten ist auf Karten privater Betreiber häufig anzutreffen. (Drei bis fünf Zustellungen täglich – davon können wir heute nur noch träumen …)
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Diese sehr aufwändig gemachte Karte mit einem integrierten Zelluloidbild (links im Durchlicht-Scan) wurde von der „Berliner Packet-Fahrt“ 1898 herausgegeben; sie erinnert an das zehnjährige Regierungsjubiläum von Kaiser Wilhelm II. (Diese Karte ist bei Schmidt unter Nr. 67 und bei Meier zu Eissen unter Nr. 105 katalogisiert, beide geben als Ausgabedatum den 13. 6. 1898 an. Mein bedarfsgerecht gelaufenes Exemplar trägt allerdings den klaren Stempel „9 6 98“; im Moment kann ich das noch nicht abschliessend beurteilen.) |
Ein solcher profitabel arbeitender Postdienst weckte natürlich Begehrlichkeiten bei der Reichspost – das, was die privaten Anbieter verdienten, konnte man schliesslich auch selbst kassieren.
Die Reichspost versuchte regelmässig, die privaten Postdienste zu diskreditieren; Fehler und Versäumnisse der privaten Konkurrenz wurden akribisch dokumentiert. Man schreckte selbst vor Massnahmen, die uns heute lächerlich erscheinen, nicht zurück, um den privaten Post-Betreibern das Leben schwer zu machen: Es gab sehr restriktive Bestimmungen bezüglich der Anbringung von Privatpost-Briefkästen (das wird heute wieder versucht; s. Kasten unten), und den „Privaten“ wurde 1888 sogar der Gebrauch des Wortes „Post“ untersagt (sehr schön dokumentiert in den Ausgaben von Giessen).
The history book on the shelf Is always repeating itself |
ABBA: Waterloo (Copyright © 1974 by Universal/Union Songs AB, Stockholm, Sweden) |
Heute, 120 Jahre später, treibt die Deutsche Post AG die gleichen Spielchen wie damals die Reichspost – Geschichte wiederholt sich … Auf den ersten Blick sieht das nach einem Sieg der Deutschen Post AG über die privaten Mitbewerber aus, aber es war eigentlich nur ein halber Sieg und sicher nicht das, was sich die Deutsche Post AG erhofft hatte: In Verbindung mit anderen Begriffen, in denen das Wort/der Wortteil „Post“ nur beschreibenden Charakter hat, ist die Nutzung nämlich gemäss dem neuen Urteil allgemein freigegeben. Wenn Sie also eine „Lila Post“, eine „Westfalen-Post“ oder eine „Oberpfalz-Post“ gründen wollen, steht Ihnen das frei. |
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Abbildung oben: Friedliche (?) Koexistenz: Briefkästen der Deutschen Post AG und eines privaten Postbetreibers, der → Main-PostLogistik, nebeneinander (Würzburg, Augustinerstraße, Oktober 2006). |
Nach langem Bemühen schaffte es die Reichspostverwaltung schliesslich, dass ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Privatpost abschaffte und auch den Ortsverkehr dem Monopol der Reichspost unterstellte. Gewinnbringende Unternehmen und ihre Mitarbeiter mussten abgefunden werden, die Boten wurden teilweise in den Dienst der Reichspost übernommen. Rund 7,5 Millionen Goldmark liess sich die Reichspost diese Aktion kosten, die damals noch selbstständige Bayerische Post entschädigte die Privatunternehmen in ihrem Bereich mit 440 000,– Mark, die Württembergische Post musste für die Ausschaltung der privaten Konkurrenz 320 000,– Mark zahlen. Insgesamt wurden also mehr als 8,2 Millionen Goldmark an Abfindungen gezahlt – es war eben doch ein sehr lukratives Marktsegment, das die staatlichen Postverwaltungen jetzt endlich ohne private Konkurrenz ganz allein bedienen konnten.
Viele Privatpost-Betreiber gaben „Abschiedsausgaben“ heraus (s. dazu auch „Privatpost Lübeck“), in denen sie sich bei ihrer oft langjährigen Kundschaft bedankten oder sogar (s. u.) noch mit kleinen Spottversen über die „gierige“ Reichspost herzogen – wer will es ihnen verdenken?
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Die Abbildung zeigt die Abschiedskarte der „Privat-Stadtbriefbeförderung Courier“ in Halle/Saale (MzE Nr. 21; Gefälligkeitsstempel vom letzten Verwendungstag, dem 31. 3. 1900). Der Courier-Bote übergibt seine Tasche an den Reichspost-Briefträger; der Text nimmt Viktor von Podbielski aufs Korn. Podbielski war 1897 Nachfolger des bekannten Heinrich von Stephan als „Staatssekretär des Reichspostamtes“ geworden, in seiner Amtszeit (1. 7. 1897 – 6. 5. 1901) erfolgte die Übernahme der privaten Postanstalten durch die Reichspost. |
Versuche einzelner Betreiber, im Rahmen der nun sehr engen gesetzlichen Bestimmungen doch wieder einen Privat-Postdienst aufzuziehen, scheiterten sehr schnell; teilweise wurden solche Gesellschaften von der Reichspost gerichtlich belangt und ihr Betrieb verboten.
Die deutschen Privatpostanstalten waren in vielen deutschen Städten und Gemeinden im späten 19. Jahrhundert ein Teil des täglichen Lebens. Es gibt keinen Grund für Philatelisten, die sich mit dieser Epoche beschäftigen, auf diese Marken herabzusehen und sie zu ignorieren – im Gegenteil, sie sind eine interessante Bereicherung jeder Sammlung!
Links zur deutschen Privatpost:
Fussnoten:
Literatur:
Copyright © 2005 – 2011 und verantwortlich für den Inhalt:
Erste Veröffentlichung am 12. Juni 2005, letzte Bearbeitung am 23. Juni 2011.
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